"Unter Wildblüten" beschreibt fiktive Geschichten, die konventionelle Rahmen sprengen, um ihre eigene Existenz zu sichern.
Gabriele Krauss Libros
Textauszug: »Sie war siebenunddreißig Jahre alt. Es war ihre erste Nacht der Liebe gewesen. Er ging, wie er gekommen war, ohne Verpflichtungen, Versprechungen, Vertröstungen. Und doch glaubte sie an ein Wiedersehen mit ihm. Sie richtete sich ein am Fensterplatz ihres Wohnzimmers. Von dort glaubte sie den besten Überblick zu haben, wenn er wieder einträfe. Sie trug ihre schönsten Kleider, ihren teuersten Schmuck. Es wurde Herbst, und sie blieb unbeweglich im Fensterrahmen sitzen. Es wurde Winter, und sie harrte weiterhin geduldig aus. Ihre Gesichtszüge verloren immer mehr an Festigkeit, der Mund wurde schmäler. Ein neues Jahr brach an ...«
'Sie ging durch die Welt mit einem Lächeln. Sie gab den Bäumen im Frühling die Blätter, dem Himmel das Blau. Was Bäume und Himmel ihr wiedergeben wollten, nahm sie nicht an. Sie ging weiter. Im Herbst half sie, die Blätter bunt zu färben. Wenn die Nächte länger wurden und sich ein Grau auf alles legte, konnte sie weiterhin nur geben. Mal einen Lichtschein, mal ein gutes Wort. Die Nächte wurden kälter und dunkler, und sie konnte keinen Lichtschein mehr in die Welt zaubern. Sie selbst hatte für sich keine Güter für die kalte Jahreszeit angehäuft. Umgeben von einem Nichts lebte sie ein paar Wochen vor sich hin, dann verschwand sie von der Erde, der sie nie etwas abverlangt hatte.'