Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation
Die Wurzeln des Konflikts vom 18. Jh. bis 1924
Die Entfremdung zwischen Russland und Georgien, trotz ihrer gemeinsamen orthodoxen Glaubensbasis und tiefen kulturellen Verbindungen, ist komplex. Georgische Einflüsse sind bereits im glagolitischen Alphabet der Slawenapostel und der Nestorchronik nachweisbar. Die russische Sehnsucht nach dem georgischen Paradiesgarten, dem Vyrïj-sad, wird in historischen Texten erwähnt, wobei John Steinbeck 1948 feststellt, dass viele Russen glauben, nach einem guten Leben nicht in den Himmel, sondern nach Georgien zu gelangen. Der russische Patriarch Nikon sah in der georgischen Kirchenverfassung eine sakrale Utopie. Im 19. Jahrhundert übernimmt die russische Literatur die Rolle des geistigen Gegengewichts zur weltlichen Macht und verwandelt das Bild des Patriarchen in einen arkadischen Traum. Nach dem Fall Konstantinopels suchten georgische Könige Schutz bei Russland, das als „Drittes Rom“ betrachtet wurde. Alexander II. von Kachetien bat um militärischen Beistand, was zwar nicht erfüllt wurde, aber die Titel der russischen Herrscher veränderten sich. Für die Georgier begann eine neue Ära, während die Säkularisierung Russlands unter Peter dem Großen die „Heilige Rus´“ in die „Große Rus´“ verwandelte, die von strategischen Interessen geprägt war. Diese Veränderungen führten zu einer tiefen Entfremdung, deren Tragödie bis heute spürbar ist.