Die facettenreiche Disziplin Altnordistik zielt darauf ab, den nordgermanischen Raum im ersten Jahrtausend nach Christus und im Mittelalter umfassend kulturhistorisch zu erschließen. Da die dortigen Menschen aber länger als die der kontinentalen Kulturen bis zum Spätmittelalter überwiegend mündlich organisiert waren, sind Forscher darauf angewiesen, ihre materielle Kultur, also archäologische Quellen, Bilddarstellungen sowie Runeninschriften, in die Untersuchungen einzubeziehen. Als einer der renommiertesten Altskandinavisten hat sich Wilhelm Heizmann in seinem Oevre intensiv mit den Bereichen Altertumskunde, Ikonographie, Runologie und Literaturwissenschaft befasst. Dabei sind auch produktive interdisziplinäre Kooperationen entstanden. Die vielen disparaten, auch im vorliegenden Band angesprochen Themen gelten als Annäherung an die Kultur der Nordgermanen aus unterschiedlicher Perspektive. Mittelalter-Forscher können durch die Beiträge gute Einblicke in die breite Palette der Altnordistik bekommen; daraus ergeben sich deutliche Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit benachbarten Fächern, die zu einer fruchtbaren Interdisziplinarität beitragen.
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In den letzten Jahren hat die „rural literacy“ – als Gegensatz zur offiziellen Gelehrsamkeit – verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. Es geht nicht nur um die Verbreitung von Lese- und Schreibfähigkeit in breiteren Bevölkerungsschichten, sondern auch um die Fähigkeit, eigenständig Texte zu produzieren und den Kontext, in dem Schrift außerhalb akademischer Institutionen gebraucht wurde. In Island ist eine klare Abgrenzung zwischen diesen Bereichen aufgrund einer einzigartigen Lage nicht möglich. Die Abwesenheit von Schulen und Hochschulen hinderte die Bevölkerung nicht daran, weit verbreitete Lese- und Schreibfähigkeiten zu entwickeln. Dies führte zur Entstehung zahlreicher Papierhandschriften von der Reformation bis zur Schwelle der Moderne, die bisher wenig beachtet wurden, da sie inhaltlich und ästhetisch als unzureichend gelten. Dennoch spiegeln sie die Gesellschaft wider, in der sie entstanden. Abgesehen von einem kleinen Kreis von Gelehrten, der im Dialog mit europäischen Kollegen stand, wurden die meisten Manuskripte von Laien verfasst und zeigen deren Interessen, Ängste und Vergnügen. Die Studie beleuchtet einen wichtigen Bereich der „volkstümlichen“ Textproduktion, insbesondere die Prognostik, die eng mit der Himmelskunde verknüpft ist, und verdeutlicht das Ungleichgewicht zwischen hochentwickelter Schreibfähigkeit und rückständigem Kenntnisstand, das diese Art von Schriftlichkeit kennzeichnet.