Am Rand
Der Rabbiner Hermann I. Schmelzer und die jüdische Gemeinde St. Gallen, 1968–2012
Hermann I. Schmelzer (1932−2020) kam 1968 als Rabbiner nach St. Gallen, wo die jüdische Gemeinde seit ihrer Gründung 1863 von Kaufleuten geleitet wurde und nur drei Rabbiner hatte. Schmelzer förderte eine Politik der kommunalen Selbstbehauptung, um die Gemeinde sowohl intern als auch extern zu stärken. Er verstand sich als „Seminarrabiner“, ein Typus, der im 19. Jahrhundert entstand und als Antwort des mitteleuropäischen Judentums auf die Herausforderungen der Moderne diente. Dieser Rabbiner sollte nicht nur Talmud und Tora beherrschen, sondern auch akademisch gebildet sein, um die jüdische Gemeinschaft in die moderne, wissenschaftlich geprägte Welt zu begleiten. In Städten wie Breslau, Berlin und Budapest entstanden spezielle Rabbinerseminare, in denen die Geisteswissenschaften Teil der Ausbildung wurden und die „Wissenschaft des Judentums“ aufkam. Das Buch verknüpft die neuere Geschichte der jüdischen Gemeinde St. Gallen mit der Biografie Schmelzers und bietet einen detaillierten Beitrag zur Gegenwartsgeschichte des Schweizer Judentums sowie zum schweizerischen Rabbinat. Es beschreibt die schrittweise Veränderung des Rabbinerberufs, während die Rabbinate der schweizerischen Einheitsgemeinden eine orthodoxe Richtung einschlugen, wodurch der europäische Seminarrabbiner an Bedeutung verlor und Schmelzer zu einem der Letzten seiner Art wurde.
