Gröhlers Miniaturen sind im Wesentlichen realistisch und bedeuten gleichzeitig einen Zuwachs an Erfahrung. Selbst ungewöhnliche Ereignisse werden von Gröhler konkretisiert. Die Miniaturen thematisieren unsere mitteleuropäische Gegenwart. Hier sieht sich der Autor in der privaten Umgebung um; und hier im persönlichen Umfeld warten die Überraschungen. Das Tatsächliche – das wirklich Vorfallende – ist für Gröhler immer vorrangig. Darüber hinaus gibt es für ihn auch Verbindungen zur klassischen Mythologie. Seine Miniaturen zeichnen sich durch absolut verblüffende Details aus; sie gehen über das bloße Benennen der Realität weit hinaus. Ungewöhnliche Motive werden intelligent und trickreich weiterverfolgt. Kinder und die Kindheit spielen eine entscheidende Rolle; von Kindern gibt es hier noch niemals Gehörtes. Vor Urteilen hält sich Gröhler sehr zurück. Er spricht nicht vorschnell einen Stellenwert zu. Ein häufiges Thema ist die Flucht. Auch die Geschlechtervielfalt wird nicht außer Acht gelassen.
Spätes Mittelalter, Hansezeit, Ost- und Nordseeraum zwischen Ordensland und friesischen Inseln. Klaus Störtebeker sorgt mit den Vitalienbrüdern für Unruhe. Harald Gröhler begnügt sich nicht mit dem bekannten, von zahllosen Legenden umrankten Bild des historisch verbürgten Freibeuters, das Bücher und Filme immer weiter ausschmücken. Er geht einen anderen Weg: Aus den nicht eben üppigen Informationen authentischer Quellen lässt er Umrisse des wirklichen Störtebeker erstehen. Ein bislang kaum bekanntes englisches Dokument liefert hier eine kleine Sensation. Dabei verlieren die Figuren nichts von ihrer Lebendigkeit, erzählt wird eine Geschichte voller Saft und Kraft, mit genauem Zeitkolorit und zuweilen auch deftigem Humor. Für diese Verbindung aus historischer Erzählung und sorgfältiger Dokumentation hat der Autor einen ganz eigenen Ton gefunden. Eine fesselnde Lektüre.
Harald Gröhlers Gedichte erweitern das Bewusstsein für die reale Gegenwart und zeigen, wie selbst irreale Ereignisse in das Realistische integriert werden. Sie verleihen den Dingen Sinn und verbinden das Vertraute mit klassischer Mythologie, wodurch überraschende Einsichten entstehen.
Fränzi hat mit Schwierigkeiten im Unterricht zu kämpfen, da ein Asylbewerber ihre Schüler abwirbt. Sie erhält wenig Unterstützung und erlebt unangemessene Annäherungen. Als sie versucht, ihre Schüler zurückzuholen, stören diese den Unterricht, indem sie Pflanzen herausziehen und damit spielen.
»Ich war dann, so in den Fünfziger Jahren, in einer Jungengruppe, die sich im Wandervogel-Verband locker organisiert hatte. Und da fiel mir die Rolle zu oder es war auch meine eigne Idee, die leerstehende Kleppermühle als unseren Gruppen-Treffpunkt zu erbitten, vom Freiherrn Alhard, der mittlerweile die Wälder von seinem Papa geerbt hatte. Der Alhard, der meine Familie und von dieser vor allem die Ellen flüchtig kannte, verschloss sich nicht meinen Bitten. Zum Nulltarif gemietet, so kriegte ich mit siebzehn Jahren die Verfügungsgewalt über die Mühle.« Eine Einöde im Fichtelgebirge an der Grenze zur Tschechischen Republik. Dort eine Mühle aus Stein bei einer ehemaligen Fischzucht. Sie wird zum Ausgangs- und Reflexionspunkt einer ungewöhlichen Lebensreise. Einer Reise ins Glück und in den Schrecken, einer Reise zu den Menschen und von ihnen weg, eine Reise zu sich und von sich weg. Harald Gröhler zelebriert diese Reise mit dem ihm eigenen Witz, seiner Schnoddrigkeit, seiner poetischen Kraft und seiner ihm eigenen Melancholie.
Geschichten lesen und sie gleich wieder vergessen? Von der Art sind Harald Gröhlers neue Stories nicht. Eine der Geschichten: Die Flüchtlinge … nähern sich. Und was ist nun los? Hier zeigen sich die Einheimischen von einer verflucht neuen Seite. Keine Frage, das meiste fällt da peinlich aus. Jede der acht Stories hat aber auch autobiografische Züge. Allen acht Geschichten liegen illegale Vorgänge zugrunde. Oder mindestens ein skurriler Vorgang. Gröhler sagt: Eine einfache Wahrheit ist heute nicht zu haben. Immer wieder beschäftigt sich der Autor Gröhler mit Personen, die sich als unge- zähmt, unangepasst, als aufsässig zeigen; mit Personen, die sich von etwas freimachen wollen; mit Menschen, die versuchen, eine Decke über sich zu durchstoßen. Und oft ist kein Mann, sondern eine Frau die treibende Kraft. Die Frauen haben nicht selten den aktiveren Part. Der Autor Gröhler rollt den Zusammenhang der Generationen auf; er beschäftigt sich damit, wie sich die Generationen heute abstoßen. Wahrheitsfindung, Gedächtnis, Geschlechtlichkeit, Grenzerfahrung, das sind Gröhlers Themen. Er sagt: „Ich habe die Literatur als etwas kennengelernt, das allen Systemen, die sie einfangen möchten, Widerstand leistet.“ Manchmal spielen sich Gröhlers Stories in historisch bedeutsamen Örtlichkeiten ab. In dem Dom zu Naumburg; in der Wiener Hofburg; dem Ilmtal Goethes vor Weimar (Weltkulturerbe). Zum Teil haben die Geschichten auch eine kindliche oder zumindest knapp jugendliche Perspektive. Was Gröhler fasziniert, sind die Übergänge von der Kindheit zur Jetztzeit. Es ist nicht zu viel gesagt, dass hier jemand die Visionen seiner Jugend zu verbinden sucht mit dem Realismus und der Nüchternheit des Erwachsenendaseins.
Die Metaphysik der Gedichte. Mit einer Cover-Zeichnung von Peter Angermann.
Von Harald Gröhler ist soeben im Pop Verlag erschienen: „Der Sprung durch den Teich. Die Metaphysik der Gedichte“. Ein 136-Seiten-Gedichtbuch, kein dünnes Bändchen (wie die vorausgegangenen sechs Lyrikbände Gröhlers). Es ist Gröhlers 16. Buch. Der Maler und Beuysschüler Prof. Peter Angermann hat sich in einer Titelblattzeichnung den Sprung durch den Teich auf eine witzig-fahrige Weise vorgestellt. Gröhler lebt in Berlin. Er unternahm früher Trampfahrten, auch hochriskanter Art, quer durch Europa und nach Kleinasien. Danach hatte er selber immer wieder ein Auto; den letzten Wagen hat er jetzt aus guten Gründen verkauft. Gröhler studierte Psychologie und Philosophie – und weiter nichts –. Er war aber Gastprofessor, für Literatursoziologie, an US-Staatsuniversitäten. Er gründete die Gruppe IntermediaR. Die zwei Jahre auftrat, bis sie wieder auseinander lief, und er ist Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (das Ordensbändchen hat er leider gerade in der Münchener Straßenbahn verbummelt, auf einer Lesereise). Dreimal erhielt er auch einen 1. Preis – einmal für ein Theaterstück, zweimal für Lyrik, zuletzt den Inge-Czernik-Förderpreis Lyrik 2010 –. Gröhler ist im PEN. Einzelne Passagen seines Werks sind bis jetzt in zehn Sprachen übersetzt worden. Zum Beispiel ins Georgische, folglich nicht bloß ins Englische. Gedichte von Gröhler sind von zwei Komponisten vertont worden; über ein Kurzgedicht hat ein Filmregisseur ein ganzes Video gemacht (das wurde dann in ICEs der DB gezeigt). Gröhler steht in Who’s Who’s drin – auch in internationalen –, nur solchen, in die man sich nicht hineinkaufen kann. Nun gut, und der erwähnte Poeta laureatus schreibt diesmal worüber? Jedenfalls über Umbruchzeiten. Über Beunruhigungen; solche von anderen Personen seiner Umgebung und solche von sich. Über Zäsuren. Dieser Autor sieht: hier in Europa, oder auch in N. Y., steht so ziemlich jeder zweite unter großem inneren Druck. Und Gröhlers Gedichte, die sind dann nicht immer brav monothematisch; sondern manchmal polythematisch. Motive können sich überschneiden, Aussagen können sich überlagern. Gröhler sagt auch von seinen Gedichten: sie sind etwas, das allen Systemen – die so ein Gedicht einfangen möchten – Widerstand leistet. Widerstand, sagt er, leisten seine Gedichte sogar ihm, Gröhler, selber gegenüber. Und manchmal entwickeln seine Gedichte zentrifugale Kräfte. Immer wieder finden sich in dem neuen Buch Gedichte, in denen auch Kinder eine Rolle spielen, oder Gedichte, die einen teils kindlichen Ton haben, ohne dass es Kindergedichte sind. Daraufhin angesprochen, sagt Grögrö, „ich habe gemerkt, der Kosmos der Kinder ist hochpoetisch, und zwar inhaltlich wie sprachlich. Beides törnt mich an; dabei streite ich als Erwachsener meine (mir allmählich deutlich werdende) Welt doch nicht komplett ab“. Gröhler weicht auch nirgends in Symbolik aus; er meint das, was er schreibt. Es ist leicht zu erkennen, dass hier ein Autor die Visionen seiner Kindheit oder Jugend zusammenzuzwingen versucht mit der Nüchternheit und den Zuständen des Erwachsenendaseins. Als Headlines der Kapitel gibt es in seinem Buch: In Bewegung; Perspektivisch; Sieger und Verlierer; Frauen, eine Frau; Leichen; Affekte; Wartezeiten; auch Selbstporträts.